by Mariana Bozesan
Angefangen mit ZDF Aspekte, über Brand Eins Magazin sowie anderen Fernseh- und Radiosendern, haben sich in den letzten Wochen und Monaten Interviews der deutschen Medien verdichtet, alle zum Thema “Mensch vor Profit?” Deswegen fasse ich hier die mir gestellten Fragen nachfolgend zusammen:
Q: Ihr Buch trägt den Titel „Integral Investing – From Profit to Prosperity“ und ist als ein Bericht an den Club of Rome und der World Academy of Art and Science (WAAS) anerkannt worden. In kurzen Worten: was ist Integral Investing?
A: Integral Investing bedeutet „ganzheitlich investieren“, und ich habe es geschrieben, weil ich der Meinung bin, dass die großen und globalen Herausforderungen gleichzeitig große Chancen für die Menschheit darstellen, um die UN SDGs innerhalb der planetaren Grenzen umzusetzen. Deswegen zeige ich wie man:
- Kapital klug und sinnvoll einsetzen kann, um innerhalb der nächsten 10 Jahre unsere Systeme so zu transformieren, dass wir überleben können;
- Moderne, exponentiell wachsende Technologien hierzu nutzen kann und muss , und
- Ressourcen besser priorisiert und Prozesse skalierbar macht, um schnell und sicher zu handeln, weil uns ganz wenig Zeit übrigbleibt
Ich stelle ein neues Investmentparadigma vor (siehe unser CADMUS paper) – wobei ich der Meinung bin, dass jeder ein Investor ist. Denn immer und überall, wo wir mit Geld etwas bezahlen, zeigen wir damit, was dieses Etwas uns wert ist. Und das hat eine sehr große Bedeutung und Macht. Es ist wie die Wählerstimme in der Demokratie. Dadurch haben wir weitaus mehr Macht als uns bewusst ist.
Look inside: Download for free a PDF of the Table of Contents and other the front matter of the book.
Q: Was bewirkt „Integral Investing“
A: Ganzheitliches Investieren zeigt auf, wie man Kapital lenken kann, um die großen und globalen Herausforderungen zu adressieren und die UN SDGs innerhalb der planetaren Grenzen umzusetzen. Das alte System ist überholt und nachgewiesenermaßen nicht in der Lage, unsere existentiellen, globalen Probleme zu lösen. Solange jeder von uns am Ende des Monats einen Kontoauszug von der Bank bekommt, wo unten rechts nur eine Zahl, ein Kontostand steht, leben wir im alten System. Diese Zahl sagt nichts darüber aus, wie viele Kinder mit unserem Geld aus der Armut gehoben, oder wie viele Bäume gepflanzt, oder wieviel Plastik aus dem Ozean gefischt wurde. Diese Zahl sagt aus, dass das Einzige was zählt ist: Profitmaximierung. Das heißt wiederum: Wir tun alles, um diese Zahl zu erhöhen auf Kosten der Menschen und der Erde, die wir Externalitäten nennen. Deswegen befinden sich junge Unternehmer und Investoren heute in einem Dilemma, in dem sie zwischen Profit auf der einen Seite, und Menschen oder Umwelt auf der anderen Seite wählen müssen; Integral Investing zeigt, wie man aus der Perspektive von kleinen- und mittleren Unternehmen (KMUs) ganzheitlich wirtschaften muss, wenn wir überleben wollen.
Q: Was ist Ihr Anliegen als Unternehmerin / Investorin?
A: Mein Anliegen, insbesondere jetzt post-Corona, ist es, Essen auf den Tisch von arbeitenden Menschen zu bringen und sie an dem Wohlstand, der durch Technologie entsteht, teilhaben zu lassen. Im Moment passiert beides nicht, was man an der wachsenden sozialen Polarisierung sieht. Es geht dabei total unter, dass 90 % aller Arbeitsplätze und 55 % des Bruttoinlandproduktes (BIP) weltweit von KMUs geschaffen werden. Eben diese KMUs werden vom Staat nur wenig unterstützt. Ja, es wird einiges an Kapital zur Verfügung gestellt, aber dieses Kapital erreicht leider nur in wenigen Fällen die Entrepreneure. Der Grund: veraltete Messkriterien für die Vergabe der Gelder. Das Ergebnis? Neueste Forschung zeigt, dass 30 % der jungen Entrepreneure aufgeben und lieber Angestellte sein wollen. Für die Innovation, die Kreativität und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf dem internationalen Parket ist das ein Desaster! Die Bedeutungslosigkeit. So, mein Anliegen ist es diesen Gordischen Knoten zu zerschlagen und einen besseren Weg aufzuzeigen, denn diesen gibt es, und das ist Teil von Integral Investing.
Q: Wie können sich Investoren und andere Geldgeber in der aktuellen und sich vermutlich verschärfenden Krisensituation einbringen?
A: Proaktiv und mit Mut, Zuversicht, konkreten (auch technologischen) Lösungen (die es ja gibt), das Kapital so einsetzen, wie es uns Experten sagen, insbesondere unter Verwendung von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Zum Beispiel sagen uns die Wissenschaftler, dass der Klimawandel gestoppt werden kann, wenn dafür nur 2 Prozent des globalen Bruttosozialproduktes genutzt würden. Das Geld und die Technologie sind da, doch fehlt es an Einigkeit und Willen es umzusetzen. Es ist sehr wichtig, Teil der Problemlösungen zu werden und die sinnlosen Gespräche über for profit / not for profit aufzugeben. Mit aktiv meine ich folgendes: Früher hat man sein Geld seiner Bank zum Investieren gegeben, während man selbst auf dem Golfplatz oder sonst wo seinen Hobbys nachging. Heute geht das nicht mehr, denn unter der heutigen Regulierung riskieren die Banker, ins Gefängnis zu gehen, wenn Sie das Geld nicht ausschließlich mit Profitmaximierung einsetzen. Das erträgt aber weder die Erde noch unsere Gesellschaft mehr. Bis sich die Gesetze ändern, müssen die, die es können, selbst aktiv werden und ganzheitlich nachhaltig investieren. Dazu muss man aber gemeinsam handeln und nicht wie bisher getrennt.
Q: Corona kostet den Staat sehr viel Geld, wo kann das herkommen?
A: Der Staat ist immer gut beraten, in Menschen zu investieren, denn diese spielen es wieder ein. Das sehen wir z.B. auch am Beispiel der Gründer von BioNTech. Wie wir bereits seit der Finanzkrise von 2007/8 sehen können, ist das Kapital nicht das Problem. Das Problem ist, wie bereits erläutert, dass das Geld nur zum Teil in die richtigen Bahnen gelenkt wird. Das Geld kommt nur selten dort an wo es gebraucht wird, nämlich bei den EntrepreneurInnen/KMUs. Ich bin keine Steuerexpertin und das überlass ich denen, die mehr davon verstehen. Mir geht es darum, WAS man mit dem Geld macht und WIE man es ganzheitlich nachhaltig gemäß der UN SDGs innerhalb der planetaren Grenzen einsetzt und die uns bleibende Zeit von 10 Jahren nutzt, um uns so aufzustellen, dass wir auf der Erde nicht verbrennen. Meine Expertise ist ganzheitlich-nachhaltiges early-stage Investing/Entrepreneurship, und in meinem Buch Integral Investing zeige ich ganz genau und anhand von konkreten Beispielen der letzten Jahrzehnte, wie man einen besseren Job machen kann. Es ist alles bekannt, wir müssen es nur tun.
Q: Was erwarten Sie jetzt von der Politik?
A: Wir haben nur noch 10 Jahre Zeit, um uns nachhaltig aufzustellen. Die Lösungen für unsere globalen Probleme existieren und sind bekannt. Die Wissenschaftler lassen daran keinen Zweifel, und in meiner UN-Rede berichte ich in mehr Detail über die Forderungen von Transformation is Feasible, 2018 Bericht an den Club of Rome, die für mich ausschlaggebend sind. Daher erwarte ich von der Politik, den politischen Willen zusammenzutragen, diese Forderungen durchzusetzen – weil uns nur noch zehn Jahre bleiben, wenn wir leben wollen. Diese sind einfach zusammengefasst:
- Beschleunigtes Wachstum erneuerbarer Energien, zur CO2-Reduktion und Schaffung einer CO2-neutralen Wirtschaft bis 2050
- Beschleunigte, auch technologisch gesteuerte Lebensmittelproduktion um die weiterhin wachsende Erdbevölkerung ernähren zu können
- Neue Entwicklungsmodelle für die Entwicklungsländer
- Reduzierung der Einkommensungleichheit
- Investitionen in Bildung für alle, Gleichstellung der Geschlechter, Gesundheit, Familienplanung zur Stabilisierung der Weltbevölkerung
Q: Bietet die aktuelle Krise auch Chancen, Wirtschaft und Gesellschaft anders zu denken / organisieren?
A: Auf jeden Fall! Nur durch große Aufgaben können wir über uns hinauswachsen, und das tun wir gerade – das hat z.B. die Coronakrise wieder wunderbar bewiesen. Ich habe bereits 1995 in Cybernet investiert, um kommerziellen Internetzugang nach Deutschland zu bringen. Die Firma wurde von meinem Mann, Thomas Schulz, mitgegründet und es wurde die erste deutsche Internetaktie. So, kommerzielles Internet gibt es seit 25 Jahren in Deutschland, aber die Digitalisierung hat Deutschland völlig verschlafen. Ich mache mir keine Sorgen, denn nun haben wir die Zusammenhänge kapiert, und das wird sich ändern. Wir haben verstanden, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Klima, Technologie und unserer Zukunft gibt. Schnell handeln ist nun existentiell.
Q: Die Weltwirtschaftskrise 1929 hat in Deutschland zur Katastrophe geführt, in Amerika aber dank Roosevelts „New Deal“ die Demokratie bewahrt. Der New Deal hat den USA in den Augen vieler den Aufstieg zur Weltmacht gebracht. Brauchen wir einen New Deal?
A: Diesen haben wir schon in der EU durch den European Green Deal, zu dem sehr viele Programme gehören inklusive das Financing Sustainble Growth, um die Finanzierung zu sichern. Dazu gehören die Taxonomie, die Benchmarks und die Disclosures.
Q: Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen erscheinen manchen wie die Vorboten dessen, was uns durch den Klimawandel noch bevorsteht – brauchen wir einen wie auch immer geartetes wirtschaftliches Umdenken, um solchen Situationen besser zu begegnen, bzw. sie zu verhindern?
A: Ja, genau darum geht es, und der neue Bericht an den Club of Rome, Integral Investing: From Profit to Prosperity, liefert seinen Beitrag dazu, weil es die wissenschaftlichen Forderungen zum Klimawandel umsetzt.
Q: Was halten Sie von der Idee der Gemeinwohl-Ökonomie?
A: Sehr viel und da bin ich einig mit meinen Club of Rome Kolleginnen Maja Göpel und Kate Raworth, die Doughnut Economy Autorin, dass der Sinn der Wirtschaft ist, der Allgemeinheit zu dienen. Integral Investing ist mein Beitrag dazu aus der KMU-Sicht
Q: Immer mehr Geld konzentriert sich in immer weniger Händen. Ist das negativ oder könnte man sagen: solange es denen, die wenig haben, trotzdem tendenziell besser geht als früher (und statistisch gesehen, sinkt die Armut kontinuierlich), ist das nicht weiter tragisch?
A: Das ist sehr tragisch und destruktiv. Deswegen ist die Aufforderung Nr. 4 des Berichtes an den Club of Rome Transformation is Feasible von 2018 an die Politik, dafür zu sorgen, diese Ungleichheit zu adressieren.
Q: Jeff Bezos ist mit Amazon einer der großen Krisengewinnler. Sein Vermögen ist in diesem Jahr auf fast 200 Milliarden Dollar angestiegen. Er zahlt (auch in Deutschland) kaum Steuern, dafür ist er (in den USA) ein großzügiger Spender. Er hat im vergangenen Jahr (2020) 10 Milliarden Dollar für den von ihm gegründeten „Bezos Earth Fund“ gegeben, der Initiativen im Kampf gegen den Klimawandel unterstützt. Ist das der richtige / bessere Weg für Menschen mit viel Geld? Können sie so mehr bewegen?
A: Nein, das ist nur der verzweifelte Akt eines amerikanischen Egomanen, der glaubt alles besser zu machen als die Weltgemeinschaft. Ich kenne Bezos nicht persönlich, aber ich könnte mir gut vorstellen, dass er nicht glaubt, dass die Menschheit es schafft, die existenziellen Probleme zu adressieren und daher bereitet er sich vor, wie im übrigen auch Elon Musk und Richard Branson, die Zivilisation auf dem Mars, oder zumindest außerhalb der Erde, zu retten. Diese feudale Gutsherrenmentalität haben wir bereits vor zweihundert Jahren hinter uns gelassen. Wir leben im 21. Jahrhundert mit einer mündigen Weltgemeinschaft, die nun vernünftig geführt, auf wissenschaftlichen Grundlagen, und sofort handeln muss.
Q: Haben Sie ein Leitmotiv für Ihr Leben / Ihr Handeln?
A: Ja, tiefe Dankbarkeit und noch mehr Demut
Q: „Eigentum verpflichtet“ – stimmen Sie dem zu? Und wenn ja: wozu verpflichtet Ihrer Meinung Eigentum (großes Eigentum)?
A: Ja, natürlich. Was ist aber schon Eigentum? Was besitzen wir wirklich? Gehört uns unser Körper? Ich bin bitterarm in Rumänien aufgewachsen und betrachte Eigentum mehr als eine philosophische Frage. Wir kommen nackt auf die Welt und wir gehen wieder nackt. Das müssen wir uns immer vor Augen halten und dementsprechend leben. Alles was geboren wird, stirbt. Daher ist das wichtigste Eigentum für mich die Liebe, Dankbarkeit und das Privileg, am Spiel des Lebens teilnehmen zu dürfen. Das ist für mich das größte Geschenk und daraus ergibt sich auch die Verpflichtung mit diesem Geschenk etwas zu tun. Geld ist nur eine Manifestation dieses Geschenkes; mehr nicht. Was bleibt ist Weisheit und Tugend. Dafür lohnt es sich zu leben.